Ensemble LaCappella beim Bad Homburger Literaturfestival
Spannungs- und geheimnisvoll im Blutrausch
Benno Fürmann liest Gustave Flauberts Novelle „Legende von Sankt Julian dem Gastfreien“
Schauspieler Benno Fürmann liest in der Schlosskirche aus der 1877 erschienenen Novelle „Die Legende von St. Julian“. © jp
Bad Homburg – Viel Ruhm werde der Sohn erwerben, viel Blut vergießen, dereinst sogar Mitglied einer kaiserlichen Familie werden, weissagt ein fahrender Bettler dem gräflichen Schlossherren, ehe er auf geheimnisvolle Weise im Grase verschwindet. „Freue dich, denn dein Sohn wird ein Heiliger sein“, verkündet salbungsvoll ein schattenhaftes, gleichfalls nächtliches Traumgesicht der Mutter. Beide behalten die so gegensätzlichen Botschaften tunlichst für sich. Ein Schweigen, das sich im Verlauf der „Legende von Sankt Julian dem Gastfreien“ außerordentlich fatal auswirkt. Bis Gustave Flauberts 1877 erschienene Novelle jedoch an diesen Höhe- und Wendepunkt gelangt, vergeht viel spannungsvoll erzählte Zeit.
Wie detailgenau sich Benno Fürmann in diese Geschichte hineingelesen, hineingearbeitet, hineinversetzt hat, ließ sich am Nachmittag des Pfingstsonntags an passender Stätte erleben. Im besten Sinne gab der Schauspieler und Rezitator auf dem erhöhten Altarraum der Schlosskirche mit aufgerauhter bassbaritonaler Färbung den „raunenden Beschwörer des Imperfekts“, um mit Thomas Mann zu sprechen. Fürmanns Lesung, der Gesang des Damensextetts „La Capella“ während des Bad Homburger Poesie- und Literaturfestivals atmete die Aura des Geheimnisvollen vom ersten leisen, fast unscheinbaren Akkord an.
Flaubert folgt dem Erzählmuster und der Dramaturgie jener in einem zeitlosen Mittelalter spielenden Handlungen, die umso tragischer sich entwickeln, je fröhlicher sie beginnen. Von einem Mönch lernt der gräfliche Junge, der zahnt ohne zu weinen, die Kunst der arabischen Zahlen und lateinischen Buchstaben. Momente wie den Besuch der Pilger, ihre Berichte von den Abenteuern im Heiligen Land färbte der Rezitator nuanciert dunkler, unterstrich dergestalt dezent deren Bedeutung. Eine kleine weiße Maus stört den Jungen während des Gottesdienstes derart, dass er ihr auflauert und sie erschlägt. „Mit wilder, ungestümer Lust“ erfüllt ihn der würgende Todeskampf einer Taube, die er im Burggraben erdrosselt, ergötzt sich daran regelrecht.
Der Blutrausch steigert sich. In einem Talkessel tötet der von seinen Eltern herbeigebetete Erbgraf eine ganze Herde Hirsche samt einer Hirschkuh mit neugeborenem Kalb. Der sterbende Hirschvater verflucht ihn: Seine Eltern werde Julian dereinst töten. Nachgerade zwanghaft geschieht das, was die namensgebende Hauptgestalt zu vermeiden trachtet. Sie entflieht dem reichen, aber abgelegenen elterlichen Anwesen in den Wäldern der Wallonie, besteht viele Abenteuer, wird zum gefeierten Helden.
Nur scheinbare Ruhe bringt die Heirat mit der Tochter des Kaisers von Okzitanien, den er aus den Händen der Sarazenen befreit. Liebe kommt ins Leben des „keuschen“ Mannes. Hätte er nur geredet. Ohne zu fragen jedoch zückt er sein Schwert und erschlägt den vermeintlichen Liebhaber samt seiner Frau, die er im ehelichen Bett vorfindet – seine Eltern, wie er mit Todesschrecken gewahren muß. Die düstere Weissagung erfüllt sich.
Eindringlich und anrührend wusste Fürmann den Text zu vergegenwärtigen und erfreulich unsentimental zu verlebendigen. Es war gerade seine subtile Art, die Stimme zu heben und zu senken, die für ein unerhörtes Maß an Innenspannung bei einem Maximum an Ausdruck sorgte. Allein die untergründigen Naturschilderungen gewannen dergestalt hohe Aussagekraft.
Vorzüglich ergänzte den ebenso meisterhaft geschriebenen wie vorgetragenen Text der kristallklare Gesang des Ensembles „La Capella“. Die Sängerinnen zeigten sich stilistisch sehr sicher, trafen den Ton eines gregorianischen „Kyrie“ ebenso präzise wie den des munteren Volkslieds „Sur le Pont d`Avignon“.ULRICH BOLLER
Quellenangabe: Taunus Zeitung vom 10.06.2025, Seite 21